8. Station: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)

Ursprünglich in unmittelbarer Nähe zu den mathematischen und physikalischen Instituten der Göttinger Universität befindet sich seit der Zeit des Ersten Weltkriegs ein Zentrum der deutschen Luft- und Raumfahrtforschung, die ehemalige Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA), heute Standort Göttingen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

In enger Kooperation mit der Industrie werden hier Forschungs- und Entwicklungsarbeiten insbesondere auf den Gebieten Strömungsmechanik und optische Messtechnik durchgeführt.
Die Einrichtung besitzt weltweit einzigartige Windkanäle und Versuchsanlagen.

In dem Experimentallabor DLR_School_Lab, in dem vielen Jugendlichen Verfahren und Aspekte naturwissenschaftlicher Forschung vermittelt werden, können in eigenen kleinen Experimenten sehr eindrucksvoll Möglichkeiten und Vielfältigkeit messtechnischer Arbeiten erfahren werden.

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Wiege der deutschen Luft- und Raumfahrtforschung

Der Standort Göttingen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR, in der Bunsenstraße ist einer von acht Standorten in Deutschland, in denen die staatliche Forschung zum Bereich Luft- und Raumfahrt konzentriert ist.

Das DLR kooperiert sehr eng sowohl mit der universitären Forschung wie auch mit der Industrie, die Ergebnisse der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten werden in der Regel einer industriellen Verwertung zugeführt.

In Göttingen liegt der Schwerpunkt der Arbeiten auf den Gebieten Strömungsmechanik und optische Messtechnik, in denen der Standort internationale Bedeutung hat. Außerdem verfügt die Einrichtung über Windkanäle und Versuchsanlagen von weltweitem Ruf.

Daneben betreibt das DLR in Göttingen das erste School_Lab, ein in erster Linie für Schülerinnen und Schüler konzipiertes Experimentallabor, in dem Verfahren und Aspekte naturwissenschaftlicher Forschung experimentell vermittelt werden.

Die Einrichtung in der Bunsenstraße hat eine fast hundertjährige Tradition, die eng mit dem Aufstieg der Göttinger Naturwissenschaften, mit dem Namen Ludwig Prandtl und mit der Nutzbarmachung naturwissenschaftlicher Forschung für technische und militärische Anwendungen verknüpft ist. Ludwig Prandtl (1875-1953) war von 1904 bis 1947 Professor für (Angewandte) Mechanik in Göttingen und gilt als einer der Begründer der modernen Hydro- und Aerodynamik, der sich u.a. mit Windkanälen Göttinger Bauart und dem sogenannten Prandtl’sches Staurohr einen Namen gemacht hat.

In Göttingen leitete er (zusammen mit Carl Runge) das Institut für Angewandte Mathematik und Mechanik am Leinekanal und seit 1907 auch eine neu eingerichtete Modellversuchsanstalt für Motorluftschiffahrt.

Die Inbetriebnahme dieser in der Nähe des Göttinger Schützenplatzes gelegenen Einrichtung, die mit ihrer Spezialisierung auf die Luftfahrtforschung zu jenem Zeitpunkt weltweit einzigartig war, gilt mancherorts als Geburtsstunde der aerodynamischen Forschung. In der Anstalt wurden wesentliche Grundlagen der Aerodynamik wie die Grenzschichttheorie, die Profiltheorie oder die Tragflügeltheorie entwickelt. Während des Ersten Weltkriegs zog sie in einen auf dem Areal Bunsenstraße/Böttingerstraße errichteten, deutlich großzügiger angelegten Neubau.

Das Grundstück hatte das engagierte Mitglied der Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik Henry von Böttinger, Direktor der Elberfelder Farbwerke (später Bayer), gestiftet; die beträchtlichen finanziellen Mittel wurden in allererster Linie von Kriegsministerium und Reichsmarineamt bereitgestellt. Im Gegenzug zur Bewilligung der Gelder sicherte Prandtl seinen Geldgebern zu, dass die Arbeit im Forschungsinstitut sich nach den Bedürfnissen des Militärs richten werde. So wurden in der Bunsenstraße u.a. aerodynamische Prüfungen von Flugzeugen und ihren Bauteilen und in geringerem Umfang von Geschossen und Bomben vorgenommen. 1920/21 wurde die Einrichtung in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften mit Sitz in Berlin integriert und hieß nun Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA). 1925 wurde der nach wie vor stark praxisorientierten AVA eine auf dem Nachbargrundstück errichtete Einrichtung zur Durchführung von Grundlagenforschung, das Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung, zur Seite gestellt. Der Komplex firmierte fortan als Kaiser-Wilhelm-Institut für Strömungsforschung verbunden mit der Aerodynamischen Versuchsanstalt zur Förderung der Wissenschaften, gemeinsamer Leiter war Ludwig Prandtl.

Die enge Ausrichtung der Forschungsstätten an der Bunsen- und Böttingerstraße an den Interessen der Industrie im allgemeinen und der Rüstungsindustrie im besonderen führte zu einer massiven Expansion in den dreißiger Jahren: Zwischen 1932 und 1939 stieg die Zahl der Beschäftigten von 88 auf 770. Zentralisierung und „Gleichschaltung“ im Nationalsozialismus brachten Prandtl zusammen mit Carl Bosch (IG Farben) an die Spitze der Dachorganisation der deutschen Luftfahrtforschung, der Lilienthal-Gesellschaft. Als deren Präsidenten waren die beiden Genannten Reichsluftfahrtminister und Reichsmarschall Hermann Göring persönlich unterstellt. Der AVA unterstanden während des Krieges diverse Außen- und Forschungsstellen in den überfallenen europäischen Ländern; durch Messungen und Berechnungen war die Einrichtung auch in die Entwicklung der berüchtigten deutschen „Wunderwaffe“, der V 2-Rakete, einbezogen.

Als amerikanisches Militär 1945 kurz vor Göttingen stand, beabsichtigte der NSDAP-Kreisleiter Gengler die Sprengung der naturwissenschaftlichen Institute von Universität und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (>> Station III. Physikalisches Institut) und auch der AVA. Es kam jedoch nicht mehr zur Verwirklichung des Planes.

Die Militärregierung verbot die Luftfahrtforschung in Deutschland, die AVA musste ihren Betrieb noch 1945 einstellen, wurde 1947 aufgelöst und bis 1950 teilweise demontiert, wobei u.a. die Windkanäle zerstört oder abtransportiert wurden. Das Institut für Strömungsforschung, nun Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, durfte weiterarbeiten und nahm auch einen Teil der AVA-Forscher als eigene Abteilung auf. Nach dem Ende des Forschungsverbots 1953 erfolgte ein Neuaufbau der Anstalt, die in die Max-Planck-Gesellschaft integriert wurde. Diverse Windkanäle und andere neue Versuchsanlagen wurden aufgebaut, die Arbeit wieder in enger Verbindung mit der industriellen Praxis vorgenommen.

1969 erfolgte eine Umstrukturierung der Luft- und Raumfahrtforschung in der BRD; die drei westdeutschen Luftfahrtforschungsanstalten, darunter die AVA Göttingen, wurden in der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) zusammengefasst. In Göttingen wurden u.a. neue Messverfahren in den Bereichen Strömungsfeldmessungen sowie Gasentladungs- und Elektronenstrahltechnik entwickelt und am Einsatz von Flüssigkeitskristallen zur Messung von Oberflächentemperaturen gearbeitet. Im Bereich der Verkehrstechnik nahm man Messungen für die Weiterentwicklung von Schnellbahnen und Kraftfahrzeugen vor. Einen weiteren Forschungsschwerpunkt stellte die Numerische Aerodynamik dar.

Nach einer erneuten Umstrukturierung arbeitet die Göttinger Einrichtung nun als Teil des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das an acht Standorten in Deutschland etwa 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, und beherbergt neben einem Teil des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik (der andere Institutsteil befindet sich im Forschungszentrum Braunschweig) auch das Institut für Aeroelastik, die Business Unit Göttingen und Köln der Stiftung Deutsch-Niederländische Windkanäle (DNW-GUK) und die Abteilung Turbinentechnologie des Instituts für Antriebstechnik.

Der Göttinger Standort des DLR verfügt über weltweit einzigartige Versuchsanlagen wie den Hochenthalpiekanal und die Simulationsanlage für Treibstrahlen sowie über den großen Transsonischen Windkanal und einen der größten Vektorrechner in Deutschland.

Vom Charakter der am DLR Göttingen durchgeführten Arbeiten und seiner Leistungsfähigkeit können sich Besucher nach Vorabsprache in Führungen selbst überzeugen, in denen neben anderen ausgewählten Anlagen das School_Lab, Windkanäle und der Prandtl-Kanal aufgesucht und für die Durchführung von Beobachtungen oder Experimenten genutzt werden können.