12. Station: Mechanicus Hermann Pfaff
In der Burgstraße 47 befand sich von 1853 bis 1857 die erste elektrotechnische Werkstatt Göttingens, die dem „Mechanicus" Hermann Pfaff gehörte. Pfaff baute hier u.a. Morsesche Schreibtelegraphen für die Bahnhöfe auf der Strecke Hannover-Göttingen.
Die in den USA konzipierten Morseapparate stellten eine kommerziell angewendete, neue Version drahtgebundener Datenfernübertragung dar, wie sie Gauß und Weber mit dem nur für eigene Forschungszwecke benutzten elektromagnetischen Telegrafen in Göttingen erfunden hatten.
Die beiden großen Forscher suchten zusammen mit weiteren Göttinger Professoren Pfaffs Werkstatt in der Burgstraße auf, wo der Mechaniker eine Leitung vom Wohnraum im ersten Stock in den eben gelegenen Hausflur gelegt hatte, und wohnten hier gespannt einer Vorführung der Weiterentwicklung ihrer eigenen Erfindung bei.
Elektrotechnische Werkstatt
In der Burgstraße 47 (damals noch Burgstraße 387/388) eröffnete der Mechanicus Hermann Pfaff im Jahr 1853 die erste elektrotechnische Werkstatt in Göttingen. Pfaff hatte bei Moritz Meyerstein gelernt. In den wenigen Jahren seiner Selbständigkeit in Göttingen – bereits 1857 verlegte er seinen Betrieb nach Hannover – baute Pfaff u.a. Morsesche Schreibtelegraphen, mit denen er sämtliche Eisenbahnstationen an der 1855 eröffneten Hannoverschen Südbahn zwischen Hannover und Göttingen ausrüstete.
Die Morseapparate basierten auf demselben Prinzip, das Gauß und Weber 1833 in Göttingen bei der Erfindung des elektromagnetischen Telegraphen zugrunde gelegt hatten. (->> Stationen Universitätssternwarte und Paulinerkirche) Die Vorzüge der telegraphischen Nachrichtenübermittlung waren den beiden Forschern sehr klar. So schrieb Gauß Ende 1833: „Diese Art zu telegraphieren hat das Angenehme, daß sie von Wetter und Tageszeit ganz unabhängig ist; jeder der das Zeichen gibt und der dasselbe empfängt, bleibt in seinem Zimmer, wenn er will, bei verschlossenen Fensterläden. Ich bin überzeugt, daß unter Anwendung von hinlänglich starken Drähten auf diese Weise auf Einen Schlag von Göttingen nach Hannover oder von Hannover nach Bremen telegraphiert werden könnte.“ Etwas später weitete er die Möglichkeiten seiner Erfindung noch aus, wenn er schrieb: „...so glaube ich, daß z.B. die Electromagnetische Telegraphie zu einer Vollkommenheit und zu einem Maaßstabe gebracht werden könnte, vor der die Phantasie fast erschrickt. Der Kaiser von Rußland könnte seine Befehle ohne Zwischenstation in derselben Minute von Petersburg nach Odessa, ja vielleicht nach Kiachta geben, wenn nur der Kupferdraht von gehöriger (im Voraus scharf zu bestimmender) Stärke gesichert hingeführt, und an beiden Endpunkten mächtige Apparate und gut eingeübte Personen wären.“
Morse-Telegraph
Doch letzten Endes war es Gauß und Weber nicht in erster Linie um die Erfindung eines Mediums zur Datenfernübertragung gegangen, sondern die von ihnen entwickelten Geräte hatten ihnen zu „magnetischen und elektrischen Untersuchungen“ (Weber) gedient. Die beiden Wissenschaftler ließen sich ihre Erfindungen generell nicht schützen; sie sahen sich als Forscher und Gelehrte, zu deren Aufgabe es nicht gehörte, für die praktische Umsetzung und Vermarktung der Ergebnisse ihrer Anstrengungen zu sorgen. Diese Haltung deutete sich beispielsweise an, wenn Gauß einem Kollegen schrieb: „Es leidet keinen Zweifel, daß es möglich seyn würde, auf ähnliche Weise eine unmittelbare telegraphische Verbindung zwischen zweyen eine beträchtliche Anzahl von Meilen von einander entfernten Oertern einzurichten: allein, es kann natürlich hier nicht der Ort seyn, Ideen über diesen Gegenstand weiter zu entwickeln.“
Der amerikanische Erfinder Samuel Morse hingegen, der seit 1833 an der Entwicklung eines elektromagnetischen Schreibtelegraphen gearbeitet hatte, verfolgte die Umsetzung und industrielle Verwertung seiner Erfindung mit großer Zielstrebigkeit. Seine Morsetelegraphen sollten sich bald weltweit durchsetzen. So erlebten die Göttinger Erfinder des Telegraphen in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts, wie ihre Erfindung auf dem Umweg über Nordamerika nach Göttingen zurückkehrte. Die berühmten Forscher suchten die Werkstatt von Hermann Pfaff in der Burgstraße auf, um sich den Morseapparat im Betrieb vorführen zu lassen. In einer Darstellung aus der Jahrhundertwende wird dieses Ereignis anschaulich geschildert: „Als die ersten Morse-Apparate in Pfaff’s Werkstatt fertig geworden waren, versammelten sich in seinem Hause die Professoren Gauss, Weber, Wöhler, Ulrich, Listing und andere zu einer Probe; oben in seinem Wohnraum wurde die Empfangsstation eingerichtet, die Leitung am Treppengeländer entlang unten in den Hausflur geführt, wo die Aufgabestation sich befand, d.h. ein Taster und die Elemente aufgestellt waren. So begrüssten neidlos die Erfinder dieser weltbewegenden Einrichtung diese technische Verbesserung ihres Gedankens.