1. STATION: PAULINERKIRCHE

Den Ausgangspunkt der Göttinger Messtechnikmeile bildet der Hof der historischen Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek im Papendiek 14.
Hier befand sich mit Kollegiengebäude und Universitätsbibliothek die Keimzelle der Göttinger Universität, in der die Naturwissenschaften von Anfang an eine wichtige Rolle einnahmen.
Ohne die Anregungen aus der Georgia Augusta wäre es mit großer Sicherheit nicht zur Entwicklung einer feinmechanischen und messtechnischen Industrie in Südniedersachsen gekommen. 

Das Physikalische Kabinett war in einem (heute nicht mehr existenten) Seitenanbau an die Paulinerkirche entlang des Papendiek untergebracht und unterstand seit 1831 dem Physiker Wilhelm Weber. 1833 spannte Weber in Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Gauß einen Draht von der Neuen Sternwarte zum Physikalischen Kabinett, an dessen Enden Sender und Empfänger angeschlossen wurden – Gauß und Weber hatten den ersten elektromagnetischen Telegrafen der Welt entwickelt und zur Datenfernübertragung eingesetzt.

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Keimzelle der Göttinger Universität

Der Hof der historischen Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek im Papendiek 14, mit dem Eingang zu Kollegienhaus und Paulinerkirche, ist der Ausgangspunkt der Göttinger Messtechnikmeile.

Auf diesem Areal befindet sich die geschichtliche Keimzelle der Göttinger Universität, und mit ihm verbindet sich auch eine der weltweit bedeutendsten Erfindungen auf dem Gebiet der Messtechnik.

Als offizielles Gründungsdatum der Georg-August-Universität Göttingen gilt der Tag der feierlichen Inauguration, der 17.9.1737. Die erste Vorlesung wurde aber bereits drei Jahre zuvor, am 14.10.1734, abgehalten, und zwar von dem Philosophen und Physiker Samuel Christian Hollmann. Die Naturwissenschaften spielten in der aufstrebenden Universität von Anfang an eine wichtige Rolle. Standort der neuen Hochschule war das Kollegiengebäude auf dem Gelände des säkularisierten Dominikanerklosters, in dem seit 1531 ein renommiertes Gymnasium (das Pädagogium) angesiedelt war. Mit dem Beschluss zur Universitätsgründung erfolgte 1733 bis 1737 ein Umbau der Räumlichkeiten, an dessen vorläufigem Ende eine Vierflügelanlage stand, in der die juristischen, philosophischen, medizinischen und theologischen Auditorien, die Bibliothek sowie die Verwaltungsräume und der unerlässliche Karzer Platz fanden. Die ehemalige Klosterkirche St. Peter und Paul („Paulinerkirche“) wurde von 1734 bis 1803 als Universitätskirche genutzt und anschließend (seit 1812) Bestandteil der rasch expandierenden Bibliothek.

Hier, am Übergang der Buchstraße (heute: Prinzenstraße) zur Allee (heute: Goetheallee), verlief die Grenze zwischen der alten Stadt Göttingen und ihrem neuen Universitätsviertel. Im Westen der heutigen Innenstadt gab es Platz für Institute und Professorenhäuser, und nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Befestigungsanlagen auf den Wällen in Grünanlagen umgewandelt und die nun vom neu errichteten Bahnhof zentral in die Stadt führende Allee zur Promenade mit Wallaufgang aufgewertet worden war, besaß das Viertel eine besondere Attraktivität.

Wie diese Atmosphäre empfunden wurde, kann man einer zeitgenössischen Beschreibung Göttingens entnehmen: „Hier wirft der Geist die Fesseln ab und man wird überzeugt dass es ein Glück ist ein Mensch zu sein.“[1]

Etwa 1781 wurde in einem (heute nicht mehr existenten) Seitenanbau an die Paulinerkirche entlang des Papendiek das Akademische Museum eingerichtet, das die Sammlungen der Universität beherbergte. Hier war auch das unter Johann Tobias Mayer, dem Nachfolger Georg Christoph Lichtenbergs als Göttinger Physikprofessor, eingerichtete Physikalische Kabinett untergebracht. (Auf Lichtenberg als ebenso bedeutenden Physiker wie Schriftsteller und Denker verweist eine Sitzskulptur im Hof; (è Stationen Lichtenberghaus, Lichtenbergdenkmal und Städtisches Museum.)

Von 1831 an unterstand das Physikalische Kabinett dem frisch berufenen Physiker Wilhelm Weber (è Station Gauß-Weber-Denkmal). Weber schätzte an dem Standort seiner wissenschaftlichen Tätigkeit im Papendiek in erster Linie die ruhige Lage (im Göttingen des 18. und 19. Jahrhunderts, in dem Ackerbürger ihr Vieh durch die Straßen trieben, Ausrufer ihre Waren feilboten und Studenten bis tief in die Nacht Rabbatz machten, ein nicht zu unterschätzender Vorzug), konnte ihm aber ansonsten nicht allzuviel abgewinnen:

„...die Lage am Bibliotheks-Platze bietet vorzüglich den Vortheil großer Ruhe dar. Dagegen da es parterre, nahe am Flusse, ohne Erhebung über den Boden und nicht nach Süden gelegen ist, bietet dieses Local in Beziehung auf das erforderliche Licht und die Trockenheit nicht gleich große Vortheile dar...“ (aus einem Schreiben Webers an das Universitäts-Kuratorium, 24.4.1832)


[1] Justus Conrad Müller, Versuch einer kurzen mahlerischen und charackteristischen Beschreibung der berühmten Universität Göttingen und derselben benachbarten Oerter, Göttingen 1790, S. 9; zit. nach Christian Freigang, Architektur und Städtebau in Göttingen von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1866, S. 765-812, hier: S. 769f.

Erster Elektromagnetischer Telegraf

Eine bahnbrechende Erfindung jedoch, die bis heute mit den Namen Webers und seines Kollegen Gauß (>>Stationen Universitätssternwarte, C.F.Gauß-Studentenwohnheim und Gauß-Grabmal) verbunden ist, hatte an diesem von Weber nur mäßig geschätzten Ort ihren Ausgangspunkt.

Am 15.4.1833 schrieb Wilhelm Weber dem Göttinger Magistratsdirektor Ebell:

„Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich gehorsamst anzuzeigen, daß ich, zum Zwecke einer wissenschaftlichen Unternehmung, einen doppelten Bindfaden von dem mir untergebenen physikalischen Kabinet auf den hiesigen Johannisthurm und von da weiter zur Sternwarte habe aufspannen lassen, – und verbinde damit die ergebenste Bitte, daß Sie diesem Unternehmen, welches nicht ohne Interesse für die Wissenschaft ist, möglichst Ihren Schutz angedeihen lassen mögen, sowohl dadurch, daß Sie gestatten, daß der genannte Bindfaden einige Zeit am Johannisthurm angeknüpft bleibe, als besonders dadurch, daß Sie den Polizeibeamten, Nachtwächtern usw. gütigst einige Aufmerksamkeit anempfehlen, daß nicht durch Mutwillen ein Schade daran geschieht.“

Wie viel Mühe das Spannen des Objektes bereitet hatte, geht aus einer späteren Mitteilung Gauß‘ an Alexander von Humboldt hervor:

„Eine Drahtverbindung zwischen der Sternwarte und dem Physikalischen Cabinet ist eingerichtet; ganze Drahtlänge circa 5000 Fuß. Unser Weber hat das Verdienst, diese Drähte gezogen zu haben (über den Johannisthurm und Accouchirhaus) ganz allein. Er hat dabei unbeschreibliche Geduld bewiesen. Fast unzählige Male sind die Drähte, wenn sie schon ganz oder zum Theil fertig waren, wieder zerrissen (durch Muthwillen oder Zufall). Endlich ist seit einigen Tagen die Verbindung, wie sie scheint, sicher hergestellt...“ (Brief vom 13.6.1833)

Webers lapidare Mitteilung an den Magistrat wird den – nicht ganz unberechtigten – Argwohn der Göttinger Bürger nicht gerade beseitigt haben, so dass er fünf Tage später ein beschwichtigendes Schreiben folgen ließ. Hierin räumte er auch ein, dass es sich bei dem die Dächer der Stadt überspannenden Objekt nicht allein um einen harmlosen Bindfaden handelte:

„Die gemachten Vorkehrungen sind nicht als bleibend zu betrachten, sondern können beseitigt werden, sobald die damit beabsichtigten Versuche angestellt, und deren Erfolg außer Zweifel gesetzt werden... Der aufgespannte Bindfaden soll dazu dienen, einen feinen Metalldraht frei schwebend zu erhalten. Die Dicke dieses Drahts übersteigt nicht viel die eines Haares und vermag nur ganz schwache galvanische Ströme zu fassen und fortzuleiten. Dieser Draht besteht aus Silber und Kupfer. Er ist, verbunden mit dem Bindfaden, dem bloßen Auge für sich allein nicht sichtbar.“ (Brief vom 20.4.1833)

Gauß und Weber hatten den elektromagnetischen Telegraphen erfunden und erprobten ihn nun in der Praxis – eine Erfindung, die die Welt revolutionieren sollte, stellte sie doch die erste Realisierung des Prinzips der heute allgegenwärtigen elektronischen Datenfernübertragung (DFÜ) dar, die unter anderem essentieller Bestandteil der meisten heutigen messtechnischen Anwendungen ist. Die Leitung dieses historischen Telegraphen blieb über zwölf Jahre über den Dächern der Stadt Göttingen aufgespannt, bis sie am 16.12.1845 durch einen Blitzschlag zerstört wurde. (>>Stationen Universitätssternwarte und Mechanicus Hermann Pfaff)

Bereits drei Jahre zuvor war das Physikalische Institut in das um die Ecke gelegene Michaelishaus umgezogen; vermutlich 1887 wurde das Gebäude des „Akademischen Museums“ abgebrochen.