10th Stop: New Observatory

The New Observatory was built in the beginning of the 19th century on Geismar Landstrasse to replace the now insufficient old observatory and to draw the most famous scientist, Carl Friedrich Gauss, back to Goettingen. 
The building is exactly aligned on an east-west axis and is the first building of the university outside the city limits. Growing light pollution made this step necessary. Besides many scientific instruments, the observatory hosts the geodetic point zero for Gauss’ famous Hanoverian land surveys.

The observatory was also one of the ends of the electro-magnetic telegraph constructed by Gauss and Weber. Due to light pollution observations are no longer possible.
In 2008 / 2009 the observatory has been thoroughly restaurated.

Today, the observatory hosts the Georg-August-University School of Science (GAUSS), the
Goettingen Graduate School of Social Sciences  (GGG) as well as Graduate School of Humanities Goettingen (GSGG).
Furthermore, the newly established Institute for Advanced Study at the University of Goettingen, Lichtenberg-Kolleg serves as a place where internationally renowned and emerging scholars meet. 

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Landvermessung, Magnetismus, Telegraphie

Die Neue Sternwarte an der Geismarlandstraße ist in ihrer Geschichte und Bedeutung auf das engste mit dem Wirken des genialen Mathematikers Carl Friedrich Gauß in Göttingen verknüpft. (>> Stationen C.F. Gauß-Studentenwohnheim und Gauß-Grabmal)

Seit der Zeit Tobias Mayers hatte sich die Göttinger Astronomie großes Ansehen erworben. Gauß folgte 1807 einem Ruf an die Georgia Augusta und nahm die Position eines Professors für Astronomie ein. Damit verbunden war die Leitung der Göttinger Sternwarte. Zu diesem Zeitpunkt war der 1803 begonnene Bau der Neuen Sternwarte seit zwei oder drei Jahren unterbrochen; als Arbeitsstätte musste Gauß noch bis zur Fertigstellung mit der unzulänglichen Alten Sternwarte in Klein Paris (heute Turmstraße) vorliebnehmen. (>> Station Alte Sternwarte) Deren bauliche Mängel hatten bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts für Vorstöße zum Neubau eines Observatoriums gesorgt. Das Engagement in dieser Richtung war wohl noch begünstigt worden von der Tatsache, dass drei Söhne König Georgs III., darunter der Herzog von Cumberland und spätere König von Hannover (ab 1837) Prinz Ernst August, zum Studium nach Göttingen geschickt worden waren und als Geschenk ein Herschel-Teleskop für die Sternwarte mitgebracht hatten.

Im Jahr 1802 erfolgte schließlich nach mehreren Anträgen die Genehmigung eines Neubaus durch König Georg III.,1803 fand die Grundsteinlegung statt.

1804 oder 1805 musste der Bau für mehrere Jahre unterbrochen werden: Es herrschte Krieg in Europa. Das Kurfürstentum Hannover war von französischen Truppen besetzt. Göttingen wurde bald Teil des von König Jérôme beherrschten Königreichs Westphalen und bildete zwischen 1807 und 1813 die Hauptstadt des sogenannten Leine-Departements.

Finanzknappheit und Pläne zur Umgestaltung des deutschen Hochschulwesens nach französischem Vorbild gefährdeten zwischenzeitlich nicht nur den Weiterbau der Neuen Sternwarte, sondern die Georgia Augusta insgesamt. Doch die Gefahr konnte abgewendet werden, wobei französische Freunde der Universität geschickt das Napoleon zugeschriebene Diktum „Die Georgia Augusta gehört keinem besonderen Staate, gehört nicht Deutschland allein, sie gehört dem gesammten Europa an“ für ihre Zwecke einsetzten. König Jérôme, der Göttingen fünf Mal besuchte und selbst naturwissenschaftlich interessiert war, förderte die Universität und erließ 1810 einen Befehl zum Weiterbau der Neuen Sternwarte, wofür er 200.000 Francs zur Verfügung stellte. 1816, drei Jahre nach dem Zusammenbruch des Königreichs Westphalen, war der Bau schließlich beendet, die nunmehr Königliche Sternwarte konnte in Betrieb genommen werden.

An der Gestaltung des Neubaus hatten mehrere Institutionen und Personen Anteil, die unterschiedliche Konzeptionen verfolgten. Der ursprüngliche Entwurf des Universitätsbaumeisters Georg Heinrich Borheck wurde mehrfach und von verschiedenen Personen überarbeitet, die schließliche Ausführung erfolgte unter Borhecks Nachfolger Justus Heinrich Müller. Der Neubau berücksichtigte drei erstmals an der 1790 geschaffenen Seeberg-Sternwarte bei Gotha zugrunde gelegte Kriterien:

  1. Abkehr von der Einrichtung auf einem erhöhten Standpunkt (wie bei der Alten Göttinger Sternwarte) aufgrund der zunehmenden Schwere und Empfindlichkeit der Instrumente; stattdessen Hinwendung zu einem bodennahen Bau auf möglichst solider, erschütterungsfreier Grundlage;
  2. strikte Ost-West-Orientierung der Längsachse zum effektiven Einsatz der Meridiankreise (die Neue Sternwarte ist vollkommen exakt in dieser Himmelsrichtung ausgerichtet);
  3. Bau außerhalb der Stadt wegen der zunehmenden Lichtverschmutzung, wobei in Göttingen eine sehr gute Erreichbarkeit für die Studenten gewährleistet blieb.

In der stilistischen Ausgestaltung signalisierte die Neue Sternwarte eine Abkehr von der regionalen Tradition spätbarocker Architektur und schuf den Anschluss an die aktuelle Formgebung größerer Städte wie Kassel, Braunschweig und Berlin.

Mit der erstmaligen Errichtung eines universitären Repräsentativbaus in einem bis dahin weitestgehend unbebauten Gebiet der Stadt erfolgte eine deutliche Aufwertung der Gegend vor den Stadttoren. Mit dem Leiter des Observatoriums, Carl Friedrich Gauß, und dem Inspektor, Karl Ludwig Harding, die beide Wohnräume in der Sternwarte bezogen, ließen sich zum ersten Mal Professoren mit ihren Familien außerhalb des vom Stadtwall umschlossenen Gebiets nieder. Ihnen folgten im Lauf des 19. Jahrhunderts immer mehr Akademiker und auch wohlhabende Handwerker und Kaufleute. Die bis dahin den städtischen Unterschichten vorbehaltene Wohngegend vor den Toren der Stadt wurde allmählich vom gehobenen Bürgertum besetzt.

Gauß und Harding lebten in den beiden Seitenflügeln des Gebäudes. Den Westflügel bewohnte Gauß vier Jahrzehnte lang, und hier starb er auch. Die Seitenflügel waren unterkellert, während das Hauptgebäude ohne Keller auskommen musste, um die Gefahr von Erschütterungen zu minimieren.

Die erste Kuppel des Gebäudes wurde in Göttingen hergestellt, wies aber Mängel auf, die dazu führten, dass 1888 eine in Dublin produzierte neue Kuppel aufgesetzt wurde. Diese Kuppel ließ sich mit einem Handrad leicht auf zwölf Rädern drehen und konnte einen bis zu einem Meter breiten Beobachtungsspalt freigeben. Ein Uhrwerk gewährleistete die Nachführung des dort postierten neuen Heliometers von Repsold.

Die Meridianspalte links und rechts des Hauptgebäudes, die heute vermauert sind, ließen sich früher für Beobachtungs- und Vermessungszwecke öffnen. Wenn sie nicht in Benutzung waren, waren sie durch Rollläden verschlossen, deren Aussehen heute im Putz nachempfunden ist. Die Meridiansäle mit den Spalten beherbergten die großen, von Gauß beschafften Meridiankreise von Reichenbach bzw. Repsold, mit deren Hilfe die Himmelskoordinaten von Sternen gemessen werden konnten.

Im Innern der Sternwarte befindet sich der Nullpunkt für seine berühmte Hannoversche Landesvermessung. Dieser ist heute als abgedeckter, im Boden versenkter Messingbolzen im sogenannten Nullpunktraum zu sehen. Gauß beschäftigte sich sehr intensiv mit Problemen der Landesvermessung, wobei er u.a. die Gauß-Krüger-Abbildung entwickelte, die eine konforme Abbildung eines auf dem Erdellipsoid liegenden geographischen Koordinatensystems in ein ebenes, rechtwinkliges Koordinatensystem (also beispielsweise auf Papier) ermöglicht. Dieses Verfahren fand 1923 Eingang in die deutsche und später auch in die Landesvermessung zahlreicher anderer Länder. (In englischsprachigen Ländern wird es oft als universale transversale Mercator-Abbildung bezeichnet.)

Bei seiner Arbeit an der Hannoverschen Landesvermessung, bei der in 25 Jahren (1820-1845) 2.600 trigonometrische Punkte eingemessen wurden und an der Gauß fünf Jahre lang persönlich teilnahm, vermaß er das damals größte je gemessene Landschaftsdreieck mit den Punkten Brocken (1.142 m), Hoher Hagen (508 m), Großer Inselsberg (915 m). Im Zuge seiner Vermessungsarbeiten erfand Gauß um 1820 auch ein neues Instrument, auf das er Zeit seines Lebens stolz war: das Heliotrop. Bei diesem Instrument bewirkt die Anordnung mehrerer Spiegel, dass einfallendes Sonnenlicht als Richtstrahl auf jedes gewünschte Ziel, das mit dem Fernrohr angepeilt wird, gelenkt werden kann. Dieses Verfahren ermöglicht sehr genaue Ergebnisse bei geodätischen Messungen. Mit dem Gerät können bei Sonneneinfall über 100 Kilometer entfernt liegende Ziele angepeilt werden. Von jenem Punkt aus kann das als heller, scharfer Lichtpunkt wahrgenommene Heliotrop mit einem Theodoliten gut angepeilt werden. Das Anpeilen zweier verschiedener Punkte ermöglicht dann auch sehr genaue Winkelmessungen. Gauß erhielt die Anregung für die Entwicklung des Instruments, als ihn bei Beobachtungen in Lüneburg Licht störte, das von einer Fensterscheibe des Hamburger Michel reflektiert wurde – diesen Effekt nahm er auf und setzte ihn im Heliotrop positiv ein. Durch kurzzeitige Bedeckungen eignet sich das Instrument auch zum optischen Telegraphieren über große Entfernungen und wurde von Gauß auch auf diese Weise benutzt.

In der Sternwarte wird ein im Auftrag Gauß‘ vom Göttinger Instrumentenbauer und Universitätsmechanikus Moritz Meyerstein (1808-1882) gebautes Heliotrop aufbewahrt. Von diesem Instrument gab es im Lauf der Jahre viele Nachbauten und Weiterentwicklungen (u.a. von der Göttinger Firma Sartorius). Vier weitere Heliotrope aus Göttinger Produktion, nämlich aus der Werkstatt von Philipp Rumpf, die im Besitz der Sternwarte waren, befinden sich jetzt im Besitz des Instituts für Geophysik. Von den Meridiankreisen, die Gauß benutzte, sind heute nur noch drei Teilkreise und einige Kleinteile erhalten. Die Meridiansäle, von denen aus Gauß viele Vermessungsarbeiten vornahm, erhielten 1926 (der östliche) bzw. 1932 (der westliche) Zwischendecken und -wände, womit eine weitere Nutzung der Meridianinstrumente nicht mehr möglich war.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Gauß lag in enger Zusammenarbeit mit Wilhelm Weber auf dem Gebiet der Magnetfeldmessungen. Zwischen Juni und Herbst 1833 ließ Gauß auf Anregung Alexander von Humboldts auf der Wiese westlich des Sternwartengebäudes, nahe an der Straße, eine eisenfreie Hütte, das Magnetische Observatorium errichten. Hier konnte das Magnetfeld ohne Störungen gezielt erforscht werden. Es handelte sich um ein einstöckiges Gebäude von 10,7 m Länge und 5,3 m Breite, dessen Längsseiten in astronomischer Nord-Süd-Richtung ausgerichtet waren. Humboldt unterhielt in Berlin zwei ähnliche Einrichtungen und suchte den Austausch über dieses Forschungsfeld; auch versprach er sich von Gauß‘ Engagement wohl neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Der mit den Aktivitäten von Gauß und Weber verbundene Magnetische Verein (eine internationale Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung des Erdmagnetismus) in Göttingen führte an 53 Stationen auf der ganzen Welt Messungen durch, deren Ergebnisse in einem Atlas des Erdmagnetfeldes präsentiert wurden. Das auch als Gauß-Haus  bekannte Gebäude wurde im Zuge einer Neuorganisation der Sternwarte um die Jahrhundertwende auf das Gelände des Instituts für Geophysik auf dem Hainberg versetzt.

Die Beschäftigung mit dem Magnetismus führte Gauß und Weber im selben Jahr, in dem das Magnetische Observatorium gebaut wurde, also 1833, zur Entwicklung des ersten funktionsfähigen elektromagnetischen Telegraphen der Welt. Wohl Ende März/Mitte April 1833 spannte Wilhelm Weber unter größeren Anstrengungen einen Doppeldraht von etwa 1,1 km Länge an einem Bindfaden von seiner Arbeitsstelle, dem Physikalischen Kabinett, über einen Kirchturm der Johanniskirche und das Accouchierhaus zur Arbeitsstelle von Gauß in der Neuen Sternwarte. Erste Versuche der Zeichenübermittlung fanden gegen Ostern 1833 statt. Im August 1833 teilte Gauß einem Kollegen in einem Brief mit: „Unsere große galvanische Kette (6000-7000 Fuß Draht) ist schon lange ungestört bestehend und schon oft haben wir mit bestem Erfolg ganz kleine Phrasen einander telegraphisch signalisiert.“ Die Leitung blieb mehrere Jahre hängen, wurde verschiedentlich erneuert und ab einem unbestimmten Zeitpunkt auch über das Magnetische Observatorium geführt, bis ein Blitzschlag am 16.12.1845 für ein Ende der Experimente sorgte. Weber war zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren nicht mehr in der Stadt und Gauß‘ Interesse richtete sich auf andere Schwerpunkte.

Der Inhalt der ersten jemals telegraphierten Botschaft der Welt ist nicht überliefert. Der Legende nach lautete sie schlicht: „Michelmann kömmt“, womit Weber Gauß angekündigt habe, dass der Wärter im Physikalischen Kabinett Michelmann unterwegs zur Sternwarte sei. Die Übermittlung der Nachricht habe so lange gedauert, dass Michelmann persönlich noch vor ihr bei Gauß eingetroffen sei. Obwohl einiges gegen diese Version spricht, hat Weber ihr nie widersprochen. Die Wissenschaft hält es heute für nachgewiesen, dass die Übermittlung der ersten Telegraphiebotschaft viereinhalb Minuten gedauert hat, und vermutet, dass ihr Inhalt ein ernster Text in der Art des an anderer Stelle von Gauß benutzten: „Wissen vor Meinen/ Sein vor Scheinen“ gewesen ist.

Der Gauß-Weber-Telegraph bestand aus Sender, Leitung und Empfänger. Beim Sender, der im Physikalischen Kabinett stand, wurde eine Spule durch einen Hebel auf einem langem Magnetstab auf und ab gezogen, wodurch kurze Stromstöße entstanden. Diese wurden über eine Drahtleitung zum Empfänger in der Neuen Sternwarte übertragen. Dort wurde der Strom durch eine weitere Spule geleitet, wodurch er einen waagerecht aufgehängten Magnetstab in geringe Bewegungen versetzte, die durch Spiegel und Fernrohr gut sichtbar gemacht wurden. Je nachdem, ob die Induktionsspule am Sender nun auf oder ab bewegt wurde, schlug der Magnetstab am Empfänger nach rechts oder links aus. Um aus der Reihenfolge dieser Bewegungen eine Botschaft ver- und entschlüsseln zu können, vereinbarten Gauß und Weber einen binären Links-Rechts-Code, der Buchstaben und Zahlen als unterschiedliche Folgen von jeweils vier solcher links-rechts-Ausschläge festlegte. (>> Stationen Paulinerkirche und Mechanicus Hermann Pfaff)

Heute sind nur noch wenige Reststücke vom weltberühmten Gauß-Weber-Telegraphen erhalten. Die Originalapparaturen wurden von den beiden Forschern ständig für weitere Arbeiten verändert und umgebaut. Im Museum der Göttinger Sternwarte existiert heute nur noch ein Reststück des Originaldrahtes von 1833 (mit Echtheitszertifikat!). An der Südseite der Sternwarte erinnert eine Gedenktafel an die bahnbrechende Erfindung.

In der Sternwarte werden neben Gauß-Reliquien wie seiner legendären Mütze und einem von Gauß beschafften kleinen Heliometer von Fraunhofer, die beide auf der berühmten Lithographie Ritmüllers zu sehen sind, weitere wichtige und heute auch wertvolle materielle Zeugnisse der hier geleisteten Forschung aufbewahrt. Dazu zählen der Birdsche Mauerquadrant von Tobias Mayer aus der Alten Sternwarte, Meyersteins von Gauß entwickeltes Heliotrop, verschiedene Theodoliten, binokulare Fernrohre, ein Sonnenspektrum mit Fraunhoferschen Linien etc. Im ehemaligen Uhrenraum der Sternwarte wurde mithilfe mehrerer exakter Pendeluhren die Göttinger Normzeit geliefert.

Unter Gauß‘ Nachfolger Wilhelm Klinkerfues (1827-1884) erfolgte 1868 eine offizielle Zweiteilung der Sternwarte in die Abteilung A für Praktische Astronomie und die Abteilung B für Theoretische Astronomie, Geodäsie und mathematische Physik.

Die letztgenannte Abteilung ging im wesentlichen in dem 1898 gegründeten Institut für Geophysik am Hang des Hainbergs, gelegentlich auch „Erdwarte“ (als Gegensatz zu „Sternwarte“) genannt, auf. Das Institut nahm die Instrumente und Bücher der ehemaligen Abteilung B der Sternwarte mitsamt dem unter Gauß errichteten Magnetischen Observatorium mit auf den Hainberg.

Der Gauß-Nachfolger Wilhelm Klinkerfues machte sich in Göttingen zunächst vor allem als wissenschaftlicher Experte für Wettervorhersagen, die nur selten eintrafen, einen Namen (er erhielt daher bei nichtakademischen Einwohnern der Stadt den Spitznamen „Flunkerkies“). Seine Forschungen wurden oft dadurch getrübt, dass die Beobachtungsinstrumente in der Kuppel des Observatoriums beschlugen. Um diesem Missstand abzuhelfen, benötigte Klinkerfues ein Instrument zur Anpassung der relativen Luftfeuchtigkeit in der Kuppel an die Außenbedingungen. Zu diesem Zweck entwickelte er ein Hygrometer, das auf dem Prinzip der Ausdehnung von Haaren bei Feuchtigkeit beruhte. Der Göttinger Feinmechaniker Wilhelm Lambrecht, der gute Kontakte zu Klinkerfues hatte, verbesserte dieses Instrument zur Gebrauchsfähigkeit – eine Entwicklung, die Lambrecht zum Aufbau eines noch heute erfolgreichen Unternehmens zur Herstellung von Messinstrumenten für Luftdruck und -feuchtigkeit und jeder Art von Wetterinstrumenten verhalf. Am besten funktioniert die von Klinkerfues und Lambrecht entwickelte Methode übrigens mit langen dunkelblonden Haaren – gelegentlich wurden die Göttinger Einwohnerinnen daher per Zeitungsannonce um die Ablieferung eines Teils ihrer Haarpracht gebeten.

Von 1901 bis 1909 stand die Göttinger Sternwarte unter der Leitung von Karl Schwarzschild, der neue Arbeitsmethoden aus der Astrophysik, als deren Mitbegründer er gilt, einführte.

1922 wurde die bis dahin zur Philosophischen Fakultät gehörende Universitäts-Sternwarte (so hieß sie seit 1919) der neugegründeten Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugeordnet. Unter der Leitung von Hans Kienle (1927-1939) wurde das „Göttinger Temperaturprogramm“ etabliert.

In diese Zeit (1929-1930) fiel der Bau einer Außenstation auf dem Hainberg, da die Bedingungen für Beobachtungen an der Geismarlandstraße durch die zunehmende Licht- und Luftverschmutzung und den ständig wachsenden Straßenverkehr zu schlecht geworden waren. Diese Außenstation wurde unter Leitung Paul ten Bruggencates (1941-1961), der einen Schwerpunkt auf die Sonnenphysik (die sogenannte Tag-Astronomie) legte, um eine Station zur Sonnenbeobachtung ergänzt.

Heute  gehört die Sternwarte zur Fakultät für Physik und stellt eines der größten Institute der Göttinger Universität dar. Beobachtungen können von hier aus freilich schon seit langem nicht mehr durchgeführt werden, auch die Außenstelle auf dem Hainberg bietet die entsprechenden Bedingungen nicht mehr.

In Außenstationen, internationalen Observatorien (z.B. La Silla und El Paranal in Chile) und mit Hilfe von Satelliten und Weltraumteleskopen gemachte Beobachtungen werden in der Göttinger Sternwarte an leistungsstarken Rechnern ausgewertet und mit theoretischen Modellen und numerischen Simulationen gedeutet. Vieles geschieht in internationaler Zusammenarbeit. Es existieren Arbeitsgruppen zu den Themenfeldern „Experimentelle und Theoretische Sonnenphysik“, „Stellarphysik“, „Extragalaktische Forschung“ und „Hochenergie-Astrophysik“.

Das Institut für Astrophysik hat 2005 ein neues Fakultätsgebäude an der Tammannstraße bezogen, bis dahin stellte die Göttinger Sternwarte die älteste Einrichtung dieser Art in Deutschland dar, die noch immer für ihren ursprünglichen Zweck genutzt wird.

Heute wird das historische Gebäude z.B. für Vortragsveranstaltungen genutzt und kann auch in öffentlichen Führungen besichtigt werden.