Die Sonne zeigt sich uns als wandelbarer Stern: Mal überziehen viele, zum Teil riesige dunkle Flecken seine sichtbare Oberfläche, mal ist die Oberfläche völlig rein. Im kosmischen Vergleich jedoch ist die Sonne außergewöhnlich eintönig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen. Erstmals verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Sonne mit hunderten anderen Sternen, die ihr in Bezug auf Rotationsgeschwindigkeit und weitere fundamentale Eigenschaften ähneln. Die meisten davon erwiesen sich als viel variationsreicher. Das wirft die Frage auf, ob unser Zentralgestirn grundsätzlich zu den stellaren Schlafmützen zählt oder lediglich seit einigen Jahrtausenden eine ungewöhnlich ruhige Phase durchläuft.
Wie stark die Aktivität der Sonne – und damit auch die Anzahl ihrer Flecken und ihre Strahlungsleistung – schwankt, lässt sich zumindest für einen gewissen Zeitraum nachvollziehen. Seit dem Jahr 1610 etwa gibt es verlässliche Aufzeichnungen über die Sonnenflecken. Die Verteilung radioaktiver Spielarten von Kohlenstoff und Beryllium in Baumringen und Eisbohrkernen erlaubt zudem Rückschlüsse auf die solare Aktivität der vergangenen 9000 Jahre. Für diesen Zeitraum finden sich regelmäßig wiederkehrende Schwankungen vergleichbarer Stärke.
„Auf das gesamte Leben der Sonne bezogen, ist der Zeitraum, den wir rekonstruieren können, jedoch nur ein Wimpernschlag“, sagt Max-Planck-Forscher Timo Reinhold, Erstautor der im Magazin Science erschienenen Studie. Schließlich ist unser Stern nahezu 4,6 Milliarden Jahre alt. „Es ist denkbar, dass die Sonne seit Jahrtausenden eine ruhige Phase durchläuft und wir deshalb ein verzerrtes Bild von ihr haben.“
Da sich nicht untersuchen lässt, wie aktiv die Sonne in Urzeiten war, bleibt nur der Blick in die Sterne: Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der University of New South Wales in Australien gingen die Göttinger Wissenschaftler der Frage nach, ob sich die Sonne im Vergleich zu anderen Sternen normal verhält. Dies kann helfen, ihre derzeitige Aktivität einzuordnen.
Dabei wählten die Forscherinnen und Forscher solche Kandidaten aus, die der Sonne in entscheidenden Eigenschaften gleichen. Neben der Oberflächentemperatur, dem Alter und dem Anteil von Elementen, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium, galt das Augenmerk vor allem der Rotationsgeschwindigkeit. „Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Stern um die eigene Achse dreht, ist eine entscheidende Größe“, sagt denn auch Sami Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und Koautor der Arbeit.
Die Rotation trägt dazu bei, dass im Innern eines Sterns in einem Dynamoprozess sein Magnetfeld entsteht. „Dieses Magnetfeld ist die treibende Kraft hinter allen Aktivitätsschwankungen“, so Solanki. Der Zustand des Magnetfelds bestimmt, wie häufig die Sonne in heftigen Eruptionen Strahlung und Teilchen ins All schleudert und wie zahlreich dunkle Sonnenflecken und besonders helle Regionen auf ihrer Oberfläche auftreten – und damit letztlich auch, wie hell die Sonne scheint.
Seit wenigen Jahren liegt ein umfangreicher Katalog der Rotationsgeschwindigkeiten tausender Sterne vor. Er beruht auf Messungen des US-amerikanischen Weltraumteleskops Kepler, das von 2009 bis 2013 die Helligkeitsschwankungen von etwa 150.000 Hauptreihensternen aufzeichnete – also solchen, die sich wie unsere Sonne ungefähr in der Mitte ihres Lebens befinden.
Die Forschenden durchforsteten diese riesige Datenmenge und wählten jene Sterne aus, die sich innerhalb von 20 bis 30 Tagen einmal um die eigene Achse drehen; die Sonne benötigt dafür im Mittel etwa 24,5 Tage. Diese Vergleichsgruppe ließ sich mithilfe von Daten des europäischen Weltraumteleskops Gaia weiter einschränken. So blieben 369 Sterne übrig, die der Sonne auch in weiteren grundlegenden Eigenschaften ähneln.
Die genaue Analyse der Helligkeitsschwankungen dieser Sterne in der Zeit von 2009 bis 2013 offenbart ein klares Bild: Während die Gesamtstrahlungsleistung der Sonne zwischen aktiven und inaktiven Phasen im Mittel um gerade einmal 0,07 Prozent schwankte, zeigten sich ihre stellaren Kollegen deutlich variationsreicher: Deren Schwankungen sind typischerweise etwa fünffach so stark. „Wir waren sehr überrascht, dass die meisten sonnenähnlichen Sterne so viel aktiver als die Sonne sind“, sagt Alexander Shapiro, Gruppenleiter am Göttinger Max-Planck-Institut.
Allerdings lässt sich längst nicht für alle Sterne, die Kepler beobachtete, die Rotationsgeschwindigkeit bestimmen. Dafür müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Daten bestimmte, periodisch auftretende Verdunklungen finden. Sie lassen sich darauf zurückführen, dass Flecken die Oberfläche dieser Sterne verdunkeln, sich mit einer festen Geschwindigkeit aus dem Blickfeld des Teleskops drehen und dann nach einem bestimmten Zeitraum wiederauftauchen.
„Bei vielen Sternen können wir solche periodischen Verdunklungen nicht aufspüren, sie gehen im Rauschen der Messdaten und in den anderen Helligkeitsschwankungen des Sterns unter“, sagt Timo Reinhold. Auch die Sonne würde durch das Kepler-Teleskop betrachtet ihre Rotationsgeschwindigkeit nur schwerlich preisgeben.
Die Forschenden untersuchten deshalb auch noch mehr als 2500 sonnenähnliche Sterne, deren Rotationsgeschwindigkeit sich nicht bestimmen lässt, wohl aber deren Helligkeitsschwankungen. Und tatsächlich fielen diese deutlich geringer aus als jene in der anderen Gruppe.
Die gewonnenen Ergebnisse lassen zwei Interpretationen zu. So könnte es einen noch ungeklärten, grundsätzlichen Unterschied zwischen den Sternen mit bekannter Rotationsgeschwindigkeit geben und solchen, denen sich dieser Wert bisher nicht entlocken lässt. „Genauso denkbar ist es, dass uns die Sterne mit bekannten und sonnenähnlichen Rotationsgeschwindigkeiten zeigen, zu welchen Aktivitätsschwankungen die Sonne grundsätzlich fähig ist“, sagt Shapiro.
Dies würde bedeuten, dass unser Stern in den vergangenen 9000 Jahren, für die wir seine Aktivität abschätzen können, ungewöhnlich langweilig war und dass auf sehr großen Zeitskalen auch Phasen mit deutlich stärkeren Schwankungen denkbar sind.
Grund zur Sorge gibt es indes nicht. Für die absehbare Zukunft deutet nichts auf eine solche solare Hyperaktivität hin. Im Gegenteil: Die Sonne zeigt sich seit einem Jahrzehnt selbst für ihre Verhältnisse ziemlich schlapp. Vorhersagen der Aktivität der nächsten elf Jahre deuten darauf hin, dass sich an diesem Schwächezustand auf absehbare Zeit nichts ändern wird.