Bei ihrem dritten Vorbeiflug am Merkur im Juni 2023 sind der europäisch-japanischen Raumsonde BepiColombo neue Messungen aus der Magnetosphäre des sonnennächsten Planeten gelungen. Etwa 30 Minuten lang durchquerte BepiColombo den magnetischen Schutzschild des Merkurs und hatte so die Möglichkeit, die Verteilung und Eigenschaften geladener und ungeladener Teilchen dort zu bestimmen. Von den Ergebnissen berichtet eine Gruppe von Forschenden, zu der auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung zählen, in der Fachzeitschrift Communications Physics. So entdeckten die Forschenden unter Leitung des Pariser Observatoriums am Rand der Magnetosphäre eine bisher unbekannte Schicht turbulenten Plasmas sowie Hinweise auf einen Strom energetischer Ionen, der ringförmig um den Planeten verläuft. Bis die Raumsonde 2026 in eine Umlaufbahn um Merkur einschwenkt, führt ihre Flugroute insgesamt sechsmal an dem Planeten vorbei. Das vierte Manöver dieser Art liegt erst knapp einen Monat zurück. Die Messdaten, die dabei entstanden sind, werden zurzeit ausgewertet.
Die magnetische Umgebung des Merkurs ist einzigartig: Die Stärke des Magnetfeldes, das im Innern des Planeten entsteht, erreicht nur ein Zehntel des irdischen Wertes; gleichzeitig ist der Merkur als sonnennächster Planet einem besonders intensiven Bombardement von Sonnenwind-Teilchen ausgesetzt. Während das Erdmagnetfeld einen Großteil dieser Teilchen abschirmt, ist die Situation in der Umgebung des Merkurs deutlich komplexer. „Am Merkur können die Sonnenwindteilchen besonders leicht in die Magnetosphäre eindringen – und sogar die Oberfläche des Planeten erreichen“, erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Markus Fränz, Co-Autor der aktuellen Studie. Die Umgebung des Merkurs wird somit maßgeblich von der Wechselwirkung zwischen Oberfläche, Teilchen und Magnetfeld bestimmt.
In der aktuellen Veröffentlichung berichten die Forschenden etwa von niederenergetischen Sauerstoff-, Natrium- und Kalium-Ionen, welche die Raumsonde auf der Nachtseite des Planeten in der Magnetosphäre messen konnte. Sie stammen wahrscheinlich von dessen Oberfläche, von wo sie durch die Aufheizung der Tagseite des Planeten diffundieren oder von Sonnenwind-Teilchen oder kleinsten Mini-Meteoriten herausgeschlagen werden.
Vorgeschmack mit eingeschränkter Sicht
Grundzüge des Aufbaus der Merkur-Magnetosphäre konnten bereits frühere Merkur-Reisende wie etwa die amerikanischen Raumsonden Mariner 10 und MESSENGER zeichnen. Detaillierte und umfassendere Messungen wird nach der Ankunft am Merkur in zwei Jahren unter anderem BepiColombos Instrumentenpaket Mercury Plasma Particle Experiment (MPPE) ermöglichen. Das MPS ist an dem Massenspektrometer MSA (Mass Spectrum Analyser), einem Teilinstrument von MPPE, beteiligt. Die insgesamt sechs Vorbeiflüge am Merkur bieten einen ersten Vorgeschmack auf die Messungen, die dann zu erwarten sind.
Allerdings ist in der „Anreise-Konfiguration“ das Sichtfeld der MPPE-Instrumente deutlich eingeschränkt. BepiColombo besteht aus zwei Sonden, dem Mercury Planetary Orbiter (MPO) der ESA und dem Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO) der japanischen Weltraumagentur Jaxa, die sozusagen „huckepack“ aufeinandergestapelt reisen. Erst nach dem Einschwenken in eine Umlaufbahn um den Planeten, werden sich ihre Wege trennen. Bis es soweit ist, versperren das Sonnenschild von MMO und das Transfermodul einen Teil der Sicht der Messinstrumente.
Die Messungen vom 19. Juni vergangenen Jahres ergeben dennoch ein eindrucksvolles Bild der Plasmaumgebung. Von der Nachtseite kommend führte die Flugbahn BepiColombo nahezu in der Äquatorebene bis auf 235 Kilometer an die Oberfläche des Planeten heran und durchquerte so in etwa 30 Minuten alle Bereiche der Magnetosphäre.
„Wir haben die erwarteten Strukturen gesehen: etwa die Grenze zwischen dem frei strömenden Sonnenwind und der Magnetosphäre; zudem haben wir die 'Hörner', die die Plasmaschicht flankieren, durchquert. Das ist eine Region mit heißerem, dichterem, elektrisch geladenem Gas, das wie ein Schweif in die der Sonne entgegengesetzten Richtung wegströmt. Aber es gab auch einige Überraschungen“, fasst Erstautorin Dr. Lina Hadid vom Pariser Observatorium die Ergebnisse zusammen.
Grenzschicht und Ringstrom
Zu den Überraschungen zählt eine Art Grenzschicht, die BepiColombo in niedrigen Breiten am Rand der Magnetosphäre entdeckte. Die Teilchen dort weisen offenbar eine deutlich größere Bandbreite von Energien auf als jemals zuvor am Merkur gemessen wurde. Zudem kommt es immer wieder zu ausbruchartigen Anstiegen in der Ionendichte. Das Team vermutet, dass hier ein noch nicht näher bekannter Prozess am Werk ist, der das Plasma mit „frischen“ Teilchen versorgt.
In größerer Nähe zum Planeten stieß die Raumsonde auf eine Region besonders hochenergetischer Ionen. Die Forscher*innen halten dies für einen Hinweis auf einen so genannten Ringstrom. Gemeint ist ein Strom aus im Magnetfeld eingefangenen, geladenen Teilchen, der in der Äquatorebene um den Planeten fließt. Der irdische Ringstrom verläuft in einer Höhe von etwa 20.000 bis 60.000 Kilometern über der Erdoberfläche und erzeugt dort ein Magnetfeld, das dem eigentlichen Erdmagnetfeld entgegengerichtet ist. „Die neuen Messungen deuten darauf hin, dass Merkurs Ringstrom deutlich näher am Planeten zu verorten ist. Im Laufe der weiteren Mission hoffen wir zu verstehen, wie dies möglich ist“, MPS-Wissenschaftler und Co-Autor Dr. Norbert Krupp.
Nach dem vor etwa einem Monat absolvierten vierten Merkur-Vorbeiflug stehen die nächsten bereits kurz bevor: Am 1. Dezember dieses Jahres und am 8. Januar 2025 bieten sich die nächsten Gelegenheiten, Messdaten aus der Magnetosphäre des Planeten zu sammeln.