„Hier steht er jetzt: Unser neuestes Familienmitglied in der E_HAWK-Serie“, freut sich Moderator Moritz Borchert kurz nach der feierlichen Enthüllung des Rennfahrzeugs. Rund 200 Gäste in der Sheddachhalle am Gesundheitscampus Göttingen bestaunen anschließend das Meisterwerk. Das zweistündige Roll-out-Event von Blue Flash, dem Formula-Student-Team der HAWK, hatte viele Erkenntnisse zum neuesten Rennfahrzeug geliefert, zum Herstellungsprozess und zum Team selbst. In der nächsten Etappe wird Blue Flash das Fahrzeug fertig rüsten für die anstehenden Konstruktionswettbewerbe in den Niederlanden, in Spanien und – wenn zugelassen – für die Formula Student Germany auf dem Hockenheimring.
Mit einer – zur Hälfte noch recht unerfahrenen – dreißigköpfigen Studierenden-Gruppe wurden die Fahrzeugteile in wenigen Monaten selbst gefertigt. In der Renngarage der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit ging es in den letzten zwei Wochen besonders arbeitsintensiv zu, weiß Moritz Borchert, Leiter für Operations bei Blue Flash und Bachelorstudent der Elektrotechnik/Informationstechnik: „Ja, es ist viel Stress, aber jetzt auch am Ende eine wahnsinnig große Erleichterung, wenn man dann hier steht und stolz sein kann auf das, was präsentiert wird.“
Die Grundkomponenten kommen von vielen Sponsor-Firmen aus der Industrie, mit denen Blue Flash schon seit mehreren Jahren eng zusammenarbeitet. Wichtige Neuerung ist zum einen das neue Akkukonzept, so Teamleiter Philip Kumme (Elektrotechnik/Informationstechnik B. Eng.). Denn es wurden statt Pouchzellen nun Rundzellen als Akkus verbaut: „Die Rundzellen sind einfacher zu bestellen. Die bekommen wir innerhalb von ein paar Tagen. Sie sind günstiger und auch robuster. Das heißt, das Arbeiten damit ist wesentlich leichter.“ Zuvor musste mehr Aufwand bei Sicherheit und Handhabung betrieben werden, da das Vorgängersystem fehleranfälliger und schwieriger zu beschaffen war.
Das Thema Batterie etabliert die Fakultät parallel auch stärker in Forschung und Lehre, wie Dr. rer. nat. Salvatore Sternkopf, Professor für Werkstoffanalytik, Werkstoffprüfung und Chemie an der Fakultät während der Präsentation erläuterte. Als „faculty advisor“ verbindet er zwischen Hochschule und Blue Flash, das als studentisches Team wie ein kleines Automobilunternehmen arbeitet. Derzeit werde ein weiteres Labor, ein Batterietechnikum an der Fakultät aufgebaut, so Sternkopf: „Die Studierenden sollen aktiv an der Forschung teilnehmen und lernen, was es an Tests und Sicherheitsfeatures benötigt, die Forschung in Serie zu bringen. Also im Grunde genommen wie in der Batterieentwicklung und -produktion der Automobilindustrie.“
All das seien wichtige Erkenntnisse, wie Prof. Katja Scholz-Bürig, HAWK-Vizepräsidentin für Studium und Lehre sagt: „Die Studierenden nehmen eigentlich alles mit, was man hinterher braucht, um im Berufsleben nicht einen Praxisschock zu bekommen. Sie lernen gemeinsam in einem Team, was sie sich selber organisieren müssen, Strukturen zu schaffen, Entscheidungswege zu entwickeln, Entscheidungen zu treffen und vor allen Dingen mit Misserfolgen und dann aber auch mit den Erfolgen umzugehen.“ Für die Hochschule sei das Projekt auf jeden Fall ein Aushängeschild, in dem Fachwissen angewendet werde und mit einem sichtbaren Projekt und Produkt in die Welt gehe.
Einen wesentlichen Schritt nach vorn hat das Team auch beim Thema „driverless“, also autonomes Fahren, gemacht, ein wichtiger Teil der Prüfungen bei den Wettbewerben. Nach etlichen Jahren Vorbereitung der vorherigen Teams ist es nun erstmals gelungen, den E_HAWK über eine längere Strecke autonom fahren zu lassen, wie eindrucksvoll ein Video zeigte. Die auffälligste Veränderung, da hier viel Software, Programmierung und Mechanik drinstecke, sei die kleine Antenne auf der Haube des Rennfahrzeugs, wie Malte Hoffmann (Elektrotechnik/Informationstechnik B. Eng.), Leitung driverless, erläutert: „Sie ist der Empfänger zu unserem Remote Emergency System – es löst dann auch unsere Notbremse aus.“ An der Implementierung des Systems zu der Bremse arbeite das Team gerade noch.
Des Weiteren wurde das Aerodynamikpaket am Fahrzeugheck und den Seiten verbessert – und damit die Fahreigenschaften des Renners. Da die driverless-Komponenten diesmal entwickelt und fest verbaut wurden, wiegt das Fahrzeug mit 200 kg ein wenig mehr als im letzten Jahr (198 kg). Trotzdem ist der E_HAWK24 dieses Jahr noch ein wenig schneller: Er schafft die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,7 Sekunden, dank einer besseren Übersetzung.
Wie auch im letzten Jahr war die Abstimmung der einzelnen Abteilungen untereinander sehr wichtig, wie Lisa Feil (Präzisionsmaschinenbau B. Eng.), Leiterin der Mechanik bestätigt: „Ohne einen gesunden Austausch funktioniert nichts. Das betrifft nicht nur Mechanik und driverless, sondern das ganze Team“. In ihrer Verantwortung standen Lenkung und Bremse, die über einen Pneumatik-Zylinder am Bremspedal ziehe: „Die Lenkung ist etwas komplizierter. Wir haben hier einen extra Motor, den wir über eine relativ einfache Kupplung einsetzen können und der damit die Lenkung steuern kann. “
Im Rahmen des Konstruktionswettbewerbs „Formula Student“ plant und fertigt das Hochschulteam einmal pro Jahr einen Elektrorennwagen. Gleichzeitig hat sich das Team bereits im Januar bei Online-Assessments für internationale Wettbewerbe qualifiziert – denn nicht jedes Team wird genommen. Dieses Jahr fährt das Team zu Wettbewerben in die Niederlande und nach Spanien. Für Deutschland stehe man noch auf der Warteliste. Mit dem E_HAWK tritt Blue Flash in der Kategorie der elektrisch betriebenen Fahrzeuge an, mit dem Plan, wieder gut abzuschneiden, wie Philip Kumme sagt: „Für diese Saison erhoffen wir uns, dass wir auf dem großen Event in Spanien driverless fahren können. Daher ist es extrem wichtig für uns, dort teilzunehmen.“