Über den Polen des Gasriesen Jupiters leuchten fortwährend Polarlichter von riesigem Ausmaß. Das malerische Phänomen prägt die Vorgänge in der Atmosphäre des Gasriesen stärker als bisher gedacht, wie eine Gruppe von Forschenden, zu denen auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen zählen, heute in der Fachzeitschrift Nature Astronomy berichtet. Mit Hilfe von Messdaten des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Arrays (ALMA) in Chile und des International Gemini Observatory auf Hawaii beschreibt das Forscherteam die Verteilung von Kohlenmonoxid und Blausäure in der Jupiteratmosphäre in bisher unerreichter Genauigkeit und räumlicher Auflösung. Dabei stechen die Regionen unterhalb der Polarlichter besonders heraus. Möglich wurden die neuen Erkenntnisse durch einen kosmischen Zusammenstoß, der sich vor fast 30 Jahren ereignete.
Das Eintauchen der insgesamt 21 Bruchstücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den Jupiter im Juli 1994 war ein spektakuläres Ereignis. Da sich die Kollision schon Jahre zuvor vorhersagen ließ, konnten leistungsstarke Teleskope auf der Erde und im Weltraum den Zusammenstoß und seine Auswirkungen genau mitverfolgen. Als markante, schwarze, wolkenartige Gebilde zeigen sich die Einschlagstellen etwa auf Aufnahmen des Hubble Weltraumteleskops.
Weitere Messungen ergaben, dass der Komet zahlreiche Molekülarten wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Wasser und Blausäure in die Jupiteratmosphäre eintrug, die dort zuvor nicht heimisch waren. Da diese Moleküle über viele Jahrzehnte stabil bleiben, boten die „Fremdkörper“ Forschenden eine einzigartige Gelegenheit: Über viele Jahre konnten sie beobachten, wie sich die Moleküle über den Jupiter verteilen und so wertvolle Einblicke in die Winde und chemischen Reaktionen in der Atmosphäre des Gasriesen gewinnen. Die Messungen von 2017, die Forschende unter Leitung der Universität von Bordeaux jetzt ausgewertet haben und heute veröffentlichen, zeichnen die Verteilung des eingetragenen Kohlenmonoxids und der Blausäure in bisher unerreichter Genauigkeit nach.
Das Forscherteam hat auf diese Weise den gesamten Planeten kartiert und dabei auch die Polarregionen des Jupiters in hoher Auflösung erfasst. Diese sind Schauplatz seiner gewaltigen Polarlichter, die sich über eine Fläche mit einem Durchmesser von mehr als 40.000 Kilometern erstrecken. (Zum Vergleich: Die Erde hat einen Durchmesser von etwa 12.700 Kilometern.) In deutlich kleinerer Ausführung ist dieses Phänomen auch auf der Erde bekannt. Wenn in Phasen starker Sonnenaktivität hochenergetische Sonnenwindteilchen entlang der Feldlinien des Erdmagnetfeldes auf die irdische Atmosphäre treffen, werden dort in einer Höhe von 100 bis 1000 Kilometern Moleküle ionisiert. Als Folge emittieren diese Licht verschiedener Wellenlängen und erzeugen so das diffuse Leuchten in Grün-, Blau- und seltener Rottönen. Auch auf dem Jupiter erzeugt ein Zusammenspiel aus geladenen Teilchen, Magnetfeld und Atmosphäre die Polarlichter. Allerdings ist das Magnetfeld des Jupiters etwa zwanzigmal stärker als das der Erde; die Polarlichter leuchten in allen Wellenlängenbereichen vom Infraroten bis hin zur Röntgenstrahlung. Zudem sind die Polarlichter des Jupiters – anders als die der Erde – eine ständige Erscheinung. Als Auslöser werden neben Sonnenwindteilchen auch Teilchen vermutet, die den heftigen Vulkanausbrüchen des Jupitermondes Io entstammen.
„Die Polarlichter des Jupiters faszinieren Forscher, die sich mit der Dynamik und Chemie der Jupiteratmosphäre beschäftigen, schon seit Langem“, so Dr. Paul Hartogh vom MPS, Koautor der aktuellen Studie. Im vorvergangenen Jahr etwa berichtete ein Forscherteam, zu dem neben Paul Hartogh zwei weitere Wissenschaftler vom MPS zählten, von stabilen stratosphärischen Winden, die unterhalb der Polarlichter wehen. „Wir denken, dass uns die Moleküle, die der Komet vor fast 30 Jahren in die Jupiteratmosphäre eingetragen hat, helfen können, die Vorgänge im Bereich der Polarlichter besser zu verstehen“, so Dr. Ladislav Rezac vom MPS, Zweitautor der aktuellen Studie und Koautor der Studie von vor zwei Jahren. Mit Hilfe von Messungen des Radioteleskops ALMA der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacama-Wüste und des International Gemini Observatory auf Hawaii von 2017 konnte die Forschergruppe nun die Verteilung von Kohlenmonoxid und Blausäure in der Jupiteratmosphäre genau untersuchen. Im Vergleich zu älteren Studien, die auf den Messungen anderer bodengebundener Teleskope beruhen, bieten diese Messdaten eine deutlich höhere räumliche Auflösung.
Wie die Auswertungen nun genau belegen, haben sich beide Molekülsorten seit des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levy 9 im Jahr 1994 in ähnlicher Weise weit in der Jupiteratmosphäre verteilt und bevölkern mittlerweile auch einen ausgedehnten Höhenbereich. In der Region unterhalb der Polarlichter fand das Forscherteam allerdings eine unerwartete Auffälligkeit: Dort zeigen die Messungen deutlich weniger Blausäure als erwartet. „Da beide gemessenen Molekülsorten den gleichen dynamischen Kräften wie etwa Winden unterliegen, bedeutet dies, dass die Blausäure durch andere Mechanismen beeinflusst wird“, so Dr. Ladislav Rezac. Winde hätten beide Molekülsorten in gleicher Weise verteilt. „Stattdessen muss es offenbar einen chemischen Vorgang geben, an dem nur die Blausäure beteiligt ist und der nur unterhalb der Polarlichter auftritt“, schlussfolgert der Forscher.
Die Erklärungen der Forschenden drehen sich vor allem um winzige Aerosole, die sich im Bereich der Polarlichter bilden. Angeregt durch elektromagnetische Strahlung im Höhenbereich der Polarlichter bilden sich einfache Kohlenwasserstoffe, die zu komplexeren Kohlenwasserstoffketten wie Benzol anwachsen, bis sich schließlich gasförmige polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff (PAHs) bilden. Diese kondensieren nach und nach und die so entstandenen Aerosole sinken in niedrigere Schichten der Stratosphäre. Chemische Reaktionen auf diesen Aerosolen führen zur Zerstörung der Blausäure. Dieser Mechanismus erinnert an die Ozonzerstörung in der polaren Erdstratosphäre durch chemische Reaktionen auf polaren Stratosphärenwolken.
„Aerosole spielen offenbar in der Atmosphärenchemie der polaren Jupiterstratosphäre eine wichtige Rolle, ähnlich wie in der polaren Erdstratosphäre“, so Dr. Paul Hartogh. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, hoffen die Forscher nun auf Messungen des James-Webb-Weltraumteleskops, das seit vergangenem Jahr in Betrieb ist. Das Teleskop ist in der Lage, die Verteilung von Kohlendioxid in der Jupiteratmosphäre mit hoher Genauigkeit zu bestimmen. Und auch die Weltraummission JUICE dürfte genauere Erkenntnisse liefern. Die gleichnamige ESA-Raumsonde, die seit April dieses Jahres den Jupiter ansteuert, trägt das Submillimetre Wave Instrument (SWI) an Bord. Es wurde unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut und wird vor Ort im Jupitersystem ab 2031 einen besonders guten Blick auf die Vorgänge in der Atmosphäre des Gasriesen haben. So wird etwa die räumliche Auflösung der Messdaten von SWI die von ALMA um das Hundertfache übertreffen; zudem wird SWI weitere Spurengase, die auf den Kometeneinschlag zurückzuführen sind, wie etwa Schwefelkohlenstoff detektieren können.