Göttinger Institut beteiligt

Vibrierendes Forschungsflugzeug: DLR führt Schwingungsversuche am ISTAR durch

Teamfoto Ground Vibration Tests. (v.l.n.r.) Mar­tin Tang, Cars­ten Thiem, Jan Schwo­chow, Ju­li­an Sins­ke, Ralf Buch­bach, Yves Go­vers, Keith Soal, Da­vid Mei­er, Ro­bin Volk­mar.

Luftstützung Der ISTAR wur­de wäh­rend des Tests weich auf ei­ner spe­zi­el­len Luft­stüt­zung ge­la­gert, um ei­ne ge­eig­ne­te Rand­be­din­gung für den Stand­schwin­gungs­ver­such zu schaf­fen.

Schwingungserreger am Querruder des ISTAR Vor­be­rei­tung ei­nes Schwin­gungs­er­re­gers für den nächs­ten Mess­lauf am Quer­ru­der des ISTAR.

ISTAR beim Ground Vi­bra­ti­on Test im Han­gar

Jedes Flugzeug schwingt im Flug oder beim Starten und Landen. Wichtig ist hierbei, dass kritische Schwingungsvorgänge vermieden werden. Um dies zu gewährleisten, ist der Standschwingungsversuch (oder auch Ground Vibration Tests, kurz GVT) ein Schlüsselelement, damit ein neues Luftfahrzeug seine zertifizierte Flugtauglichkeit überhaupt erlangen kann. Eine weniger aufwändige Weiterentwicklung des GVT sind die so genannten Taxi Vibration Tests (TVT), bei denen das Flugzeug auf der Landebahn rollt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat im Juni 2021 sein neues Forschungsflugzeug Falcon 2000LX ISTAR (In-flight Systems & Technology Airborne Research) diesen Tests erfolgreich unterzogen. Die Tests fanden am DLR-Standort Braunschweig satt.

Während der Messkampagnen sammelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DLR-Instituts für Aeroelastik Daten für den Aufbau des digitalen Zwillings des Flugzeugs. Gleichzeitig erprobten sie neue Testmethoden, mit denen zukünftige Schwingungsversuche noch effizienter und genauer gestaltet werden können.

Sowohl beim GVT als auch beim TVT steht vor allem die Erfassung von Schwingungsfrequenzen und -formen wie zum Beispiel Flügelbiegung und -verdrehung im Mittelpunkt. Im Flug kann bei Fehlkonstruktion des Flugzeugs eine Überlagerung dieser Eigenschwingungsformen Flattererscheinungen auslösen, die zu unerwarteten Vibrationen im Flug bis hin zum Bruch der Struktur führen könnten.

Über 200 Sensoren geben Aufschluss

Für die Versuche statteten die Forschenden alle wesentlichen Bauteile des Flugzeuges wie die Flügel, das Leitwerk, den Rumpf und die Steuerflächen mit sogenannten Beschleunigungssensoren aus. „Selbst kleinste Bewegungen zeichnen die insgesamt über 200 Beschleunigungssensoren auf“, berichtet Julian Sinske vom Göttinger DLR-Institut für Aeroelastik. „Der Test diente dazu, das Schwingungsverhalten des Basisflugzeuges genau zu untersuchen und damit das Computermodell des ISTAR auf den Stand der Wirklichkeit zu bringen“. So können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler später Änderungen wie beispielsweise Anbauten für zukünftige Forschungskampagnen bereits vor dem Einbau am Computermodell simulieren und somit deren Einfluss auf das Schwingungsverhalten des Flugzeuges schon frühzeitig ermitteln.

Neue Testmethoden für die Luftfahrt

Der GVT findet bei der Flugzeugentwicklung in einer Phase kurz vor dem Erstflug statt. Daher ist jede Zeitersparnis wichtig. Während der Tests untersuchten die Forschenden auch neue Verfahren zur automatischen Analyse der Messergebnisse mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Die KI-Methoden könnten die Analysen der Rohdaten zukünftig beschleunigen, müssen aber in realen Versuchen zunächst erprobt werden.

Auch neuartige Analyseverfahren für Nichtlinearitäten der Teststruktur nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter die Lupe. So wollen sie die Versuche in Zukunft effizienter machen und bessere Vorhersagen für das Schwingungsverhalten im Flug geben können. Die Berechnungsmodelle von Flugzeugen werden unter Verwendung von Annahmen aufgebaut, wie zum Beispiel die Annahme von linear-elastischem Materialverhalten. Das bedeutet, dass, wenn man die Belastung verdoppelt, sich auch die Verformung verdoppeln würde. In der Realität ist das häufig nicht der Fall. Wenn die Forschenden einen solchen Effekt im Test beobachten, müssen sie ihn untersuchen und dafür ein mathematisches Modell aus den Testdaten entwickeln. Das ist deutlich aufwändiger als die herkömmlichen Testabläufe.

Außerdem untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine selbst entwickelte Smartphone-App, mit deren Hilfe die Signale von Beschleunigungssensoren direkt bei der Installation auf dem Display eines Mobiltelefons überprüft werden können.

Erst im Stand, dann in der Bewegung

Neben dem Ground Vibration Test führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch einen sogenannten Taxi Vibration Test (TVT) mit dem ISTAR durch. „Beim Taxi Vibration Test ziehen wir das Flugzeug mit einem Schlepper über die Landebahn und die Taxiways, in diesem Fall die des Braunschweiger Forschungsflughafens“, erklärt Sinske. „Dabei wird das Flugzeug in der Rollbewegung durch die kleinen Unebenheiten in der Fahrbahn zu Schwingungen angeregt.“ Der TVT diente dazu, die Flugtestinstrumentierung des ISTAR, bestehend aus 62 Beschleunigungssensoren und 40 Dehnungssensoren, zu überprüfen und so Referenzwerte für den ISTAR zu Beginn seiner Dienstzeit im DLR zu erzeugen. Der Aufwand eines TVT ist deutlich geringer als der eines GVT. So entfällt beispielsweise ein Großteil der Messausrüstung, die für die Standschwingungsversuche gebraucht wird. Durch die Anregung des Flugzeugs über die Unebenheiten der Taxiways erhalten die Forschenden wichtige Grundaussagen hinsichtlich der dynamischen Eigenschaften. Auf Kontrollmonitoren können sie dann beispielsweise Schwingungsausschläge der Tragflügel erfassen und das strukturdynamische Verhalten identifizieren. Anhand der Ergebnisse des TVT können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zukünftig durch Wiederholung dieses Tests mit weniger Aufwand kleinere Änderungen an der Struktur des Flugzeuges experimentell überprüfen.

Das DLR-Forschungsflugzeug ISTAR

ISTAR ist das jüngste Mitglied der DLR-Forschungsflotte und kann nach seinem kompletten Ausbau Eigenschaften neuer Flugzeugentwürfe real oder virtuell, bemannt oder unbemannt, unter realen Betriebsbedingungen testen. Dabei ermittelt das Flugzeug Daten für die optimierte Aerodynamik sowie Flugführung und -regelung. Zudem ermöglicht es einen neuen großen Schritt in Richtung Digitalisierung der Luftfahrt: Für den ISTAR wird das DLR erstmals einen digitalen Zwilling erschaffen, der ihn sein ganzes Flugzeugleben begleiten soll.