Das ballongetragene Sonnenobservatorium fliegt nun entlang des Polarkreises nach Westen. Aus der Stratosphäre hat es einen unvergleichlichen Blick auf die Sonne.
Das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III hat seinen Forschungsflug begonnen: heute Morgen um 6.24 Uhr (MESZ) ist es von der Ballon- und Raketenbasis Esrange Space Center in der Nähe der nordschwedischen Kleinstadt Kiruna abgehoben. Getragen von einem riesigen Heliumballon führt der mehrtägige Stratosphärenflug nun entlang des Polarkreises über den Atlantik nach Kanada. Während der Reise blickt Sunrise III auf eine mehr als 2000 Kilometer dicke Schicht der Sonne, die von knapp unter ihrer sichtbaren Oberfläche bis in die obere Chromosphäre reicht. Das Zusammenspiel dynamischer Magnetfelder und heißer Plasmaströme in dieser Region treibt die Aktivität der Sonne an. Sunrise III macht die Prozesse und Strukturen mit extrem hoher räumlicher Auflösung und ohne Unterbrechung sichtbar. Aktuell sind auf der Sonnenoberfläche mehrere große Gruppen von Sonnenflecken zu sehen. Solche Gebiete können Ausgangspunkte von Sonneneruptionen sein. Der Start von Sunrise III ist zudem der Auftakt für eine weltweite Beobachtungskampagne: In Abstimmung mit Sunrise III blicken in den nächsten Tagen zeitgleich vier Raumsonden und zehn bodengebundene Sonnenteleskope auf unser Zentralgestirn.
„Wir sind wahnsinnig erleichtert, dass der Start heute geglückt ist und bisher alles reibungslos läuft“, berichtet Sunrise III-Projektmanager Dr. Andreas Korpi-Lagg, der den Start am Göttingen Operations Center (GOC), dem Kontrollzentrum der Mission am MPS, verfolgt hat, vom aktuellen Stand der Dinge. Ende Mai und Anfang Juni hatten einige Startversuche wegen ungünstiger Wind- und Wetterbedingungen abgebrochen oder abgesagt werden müssen; eine weitere Startmöglichkeit ergab sich erst jetzt wieder. Noch viel länger hätte sich der Start nicht verzögern dürfen; die Stratosphärenwinde, die Sunrise III nach Kanada tragen sollen, zeigen schon erste Zeichen von Instabilität. Für einen sicheren Flug von Sunrise III sollte es, gemäß Aussage der beteiligten NASA Meteorologen, jedoch noch gut reichen.
Sunrise III hat bereits seine endgültige Flughöhe erreicht und bisher funktionieren alle Systeme und Instrumente wie erwartet. Das Observatorium dürfte schon bald erste wissenschaftliche Messdaten einfangen.
Sunrise trifft Hercules
Gestern gegen 21 Uhr (MESZ) begannen die Vorbereitungen, sowohl auf der Ballon- und Raketenbasis im Norden Schwedens, als auch in den Kontrollzentren am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und dem Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins Universität (APL) in Maryland, USA. Zunächst öffnet sich das Tor der Ballonhalle, in der das internationale Sunrise III-Team das Observatorium seit April auf seinen Flug vorbereitet hat. Gegen 22.30 Uhr (MESZ) manövriert das riesige Kran- und Startfahrzeug, genannt Hercules, die dreieinhalb Tonnen schwere Last vorsichtig durch das Tor. Erst im Freien montieren Mitglieder des Sunrise III-Teams die letzten Solarpaneele, die während des Flugs die Stromversorgung sicherstellen. Auch dämpfende Elemente aus Wellpappe, die den Aufprall der späteren Landung abschwächen sollen, und Behälter mit Ballast, der zur Höhenregulierung während des Fluges abgeworfen werden kann, werden erst jetzt angebracht.
Danach transportiert Hercules seine Fracht sanft schaukelnd aufs Startfeld. Die Wetterbedingungen erzwingen dort zunächst eine längere Wartezeit; dann geben die Kolleg*innen der Columbia Scientific Balloon Facility (CSBF), einer Abteilung der amerikanischen Weltraumbehörde NASA, die Start, Flug und Landung des Observatoriums verantwortet, grünes Licht für die letzte Phase der Vorbereitungen. Über zwei seitliche Schläuche strömen insgesamt 1050 Kilogramm Helium in den Ballon, der zuvor auf dem Startfeld ausgelegt worden war. Noch mutet er etwas schlapp an, wird sich beim Aufstieg in die Stratosphäre jedoch soweit ausdehnen, dass er etwa 130 Meter im Durchmesser misst.
Gegen 6.20 Uhr (MESZ) ist alles bereit. Auf ein Kommando hin lösen die CSBF-Mitarbeiter*innen die Verankerung des Ballons. Beinahe behäbig steigt er in die Höhe. Um sicherzustellen, dass er nicht seitlich am Observatorium zerrt, setzt sich Hercules in Bewegung. Erst als der Ballon genau über dem Observatorium steht, gibt das Startfahrzeug seine Last frei. Unter dem Applaus der Umstehenden vor Ort und dem erleichterten Jubel im GOC entschwinden Observatorium und Ballon in den Himmel.
Einzigartiger Blick in die Atmosphäre der Sonne
Die Forschungsreise, die Sunrise III nun antritt, bietet dem Observatorium einen einzigartigen Blick auf unseren Stern. Da die Sonne zu dieser Jahreszeit am Polarkreis nicht untergeht, kann Sunrise III im optimalen Fall rund um die Uhr Messdaten aufzeichnen. In mehr als 35 Kilometern Höhe beeinträchtigen Luftturbulenzen die Sicht kaum. Zudem hat Sunrise III in dieser Höhe Zugang zur ultravioletten Strahlung von der Sonne. Dieser Teil der Sonnenstrahlung wird von den Luftschichten der Erdatmosphäre größtenteils absorbiert und steht Sonnenteleskopen auf der Erde deshalb nicht zur Verfügung.
Die ultraviolette Strahlung, die Sunrise III auswertet, entsteht in erster Linie in der bis zu 10.000 Grad Kelvin heißen Chromosphäre der Sonne. In der weiter außen liegenden Korona herrschen mancherorts sogar Temperaturen von mehr als einer Million Grad. Wie es der Sonne gelingt, ihre äußere Hülle auf solch unvorstellbare hohe Temperaturen aufzuheizen und von dort zum Teil heftige Teilchen- und Strahlungsausbrüche ins All zu schleudern, ist noch immer nicht vollständig verstanden. Verschiedene Wellenphänomene, Umschichtungen im magnetischen Feld der Sonne und kleinere Strahlungsausbrüche sind nur einige der Prozesse, die eine Rolle spielen könnten. Die dazugehörigen Vorgänge in der Region von knapp unterhalb der Sonnenoberfläche bis in die obere Chromosphäre sichtbar zu machen und genau zu untersuchen, ist Aufgabe von Sunrise III. Die drei wissenschaftlichen Instrumente SUSI (Ultraviolett-Spektropolarimeter), TuMag (Spektropolarimeter im sichtbaren Bereich) und SCIP (Infrarot-Spektropolarimeter) sowie ein ausgeklügeltes System zur Bildstabilisierung (CWS) bieten zusammen die bisher beste Höhenauflösung dieses Bereichs: Besser als je zuvor wird es möglich sein, einzelne Prozesse und Strukturen einer genauen Höhe über der Sonnenoberfläche zuzuordnen. „Sunrise III wird uns helfen, die dynamischen Vorgänge in der Sonnenatmosphäre besser als je zuvor zu verstehen“, so Prof. Dr. Sami K. Solanki, Leiter der Sunrise III-Mission und Direktor am MPS.
Dabei bekommt Sunrise III in den nächsten Tagen Unterstützung: Zehn bodengebundene Sonnenteleskope auf der ganzen Welt, darunter etwa das Daniel K. Inouye Solar Telescope (DKIST) auf Hawaii und GREGOR auf Teneriffa, sowie die Raumsonden und Satelliten IRIS, Hinode, CHASE und Aditya-L1 aus den USA, Japan, China und Indien blicken im Rahmen einer koordinierten Messkampagne zeitgleich auf die Sonne.
Ohne Antrieb über den Atlantik
In den nächsten Tagen treiben die in dieser Saison letzten stabilen stratosphärische Ostwinde das Sonnenobservatorium Sunrise III, das über keinen eigenen Antrieb verfügt, westwärts über den Atlantik. Je nach Windgeschwindigkeit dauert der Flug fünf bis sieben Tage. Dann erreicht Sunrise III den Norden Kanadas und damit die Region, in der gelandet werden soll. Die genaue Landestelle bestimmen die Flugbahn, die Topographie und die lokalen Wetterbedingungen. Mit Sicherheit liegt sie jedoch soweit im Norden, dass Sunrise III am Fallschirm gefahrlos über unbewohntem Gebiet niedergehen kann. Mitglieder des Sunrise III-Teams werden das Observatorium und seinen Datenschatz dort bergen.
Das abenteuerliche Konzept war bereits zweimal erfolgreich. Die Flüge von Sunrise I und Sunrise II lieferten 2009 und 2013 wertvolle Daten. Der Flug von Sunrise III musste 2022 wenige Stunden nach dem Start wegen technischer Schwierigkeiten abgebrochen werden.
Über die Mission
Das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III ist eine Mission des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS, Deutschland). Sunrise III blickt mit Hilfe eines 1-Meter-Teleskops, dreier wissenschaftlicher Instrumente und eines Systems zur Bildstabilisierung aus der Stratosphäre auf die Sonne. Maßgeblich Mitwirkende an der Mission sind das Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins Universität (APL, USA), ein spanisches Konsortium, das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ, Japan), und das Institut für Sonnenphysik (KIS, Deutschland). Das spanische Konsortium wird geleitet vom Instituto de Astrofísica de Andalucía (IAA, Spanien) und besteht zudem aus dem Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (INTA), der Universitat de València (UV), der Universidad Politécnica de Madrid (UPM) und dem Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC). Weitere Partner sind das Wallop’s Flight Facility Balloon Program Office (WFF-BPO) der NASA und die Swedish Space Corporation (SSC).
Sunrise III wird unterstützt von der Max-Planck-Förderstiftung, der NASA im Rahmen der Grants #80NSSC18K0934 und #80NSSC24M0024 ("Heliophysics Low Cost Access to Space"-Programm) sowie dem ISAS/JAXA Small Mission-of-Opportunity-Programm und JSPS KAKENHI JP18H05234. Die spanischen Beiträge wurden vom spanischen MCIN/AEI im Rahmen der Projekte RTI2018-096886-B-C5 und PID2021-125325OB-C5 sowie von "Center of Excellence Severo Ochoa"-Preisen an das IAA-CSIC (SEV-2017-0709, CEX2021-001131-S) finanziert, die alle von den europäischen REDEF-Fonds "A way of making Europe" kofinanziert wurden.